Donnerstag, 9. September 2010

Selig - komplettes Interview zum neuen Album

Nach zehn Jahren Pause gab es 2009 das unerwartete Comeback mit „Und endlich unendlich“. Damit hätten sie mehr erreicht, als sie erwartet hätten, sagt Frontmann und Sänger Jan Plewka. Es sei daher keine Frage gewesen, dass sie ins Studio zurückkehren würden, um ein zweites Album nach dem Comeback aufzunehmen. Anfang der Woche saßen er und Bassist Leo Schmidthals in der Bibliothek des edlen Hamburger Hotels The George und standen mir Rede und Antwort.

Patrick: Euer neues Album klingt noch runder als das Comebackalbum. Es orientiert sich zugleich am Vorgängerwerk, greift aber auch auf die frühen Selig-Alben zurück.Stimmt der Eindruck?

Jan: Voll und ganz. Aber vorrangig sind wir als Selig natürlich im Hier und Jetzt. Das Album haben wir quasi unbewusst geschrieben. Wir hatten uns das nicht vorgenommen, sondern uns hingesetzt und auf unsere Stärken besonnen. Und eine Stärke ist unser psychedelisches Zusammenspiel, wenn diese fünf Charaktere in einen Raum kommen und zusammen spielen und  das es dann in der Mitte wirklich so etwas wie eine selige Essenz gibt, die fast schon ins Spirituelle geht. Und wir dachten uns, dass wir das vielleicht ein wenig mehr ausschöpfen.


Patrick: Das Album beginnt mit einem Song 5000 Meilen über dem Meer und endet im letzten Song am Meeresboden. War das als Klammer so geplant?


Jan: Ja. Das sind auch die zwei Eckpfeiler des Albums. Es ist eine lange Reise für den Hörer. Dadurch, dass wir wieder so viel Urvertrauen in unsere Band und uns gewonnen haben, konnten wir auch noch mehr Extreme wagen. Wir konnten noch seichter und noch – härter klingt immer so fürchterlich  - direkter werden.
Patrick: Das letzte Album wirkte spontan und krachig. Das neue Werk erscheint  strukturierter. Habt ihr euch mehr Zeit für Details gelassen und auf der Tour schon an Songs gearbeitet?

Leo : Es ist genau wie du sagst. Wir haben auf der Tour gemerkt, dass wir einige Dinge festhalten müssen. Es wurde uns bewusst, dass wir schonwieder etwas erleben, das eigentlich so unwahrscheinlich ist nach all den Jahren. Man macht ein Album, das toll wird. Auch die Leute mögen es und wir können eine Tour vor tollem Publikum spielen. Das ist ja alles nicht selbstverständlich gewesen. Wir sind halt Musiker, wir halten das in Musik fest, wie Fotografen ihre Fotos machen. Allerdings sind die Möglichkeiten auf der Tour begrenzt, um Lieder zu schreiben. „Ich hoffe es hat noch Zeit“ ist aber wirklich nachts um Drei nach einem Auftritt entstanden, als wir alle zusammensaßen.

Patrick: Ihr scheint jetzt sogar mehr Spaß als in den 90ern zu haben.

Jan: Wir sind viel bewusster geworden. Damals war der Rausch so groß. Wir mussten der Welt beweisen, dass wir die Größten und Besten sind. Damals sind wir schon an uns selber vorbeigelaufen und haben uns dabei gar nicht mehr gefunden.  Wir wissen um diesen Fehler jetzt und sind auch älter geworden. Wir müssen nicht mehr durch jede Woche

Patrick: Das Album wirkt nachdenklicher als frühere Alben.

Jan: Ja, es ist ein reiferes, erwachseneres Album geworden, aber nicht schwerer. Es ist sogar eher leichter. Durch die Altersweisheit (lacht) oder was da jetzt ist, ist da auch Schwere von uns abgefallen. Die positiven Erinnerungen an die Tour und Platte war unsere Aufgabe diese positiven Dinge zu transportieren.

Patrick: Habt ihr ein Highlight auf der Platte?


Leo Schmidthals: Ich finde es gut, dass ich richtig Bilder sehe, wenn ich das höre. Es ist wie im Kino. Ich sehe etwas auf der Großleinwand. Das haben wir noch nie vorher so erreicht. Es gibt diese zwei Songs am Anfang und Ende als Klammer und dazwischen gibt es Songs die wirken als könnte man in ein Haus durch die Fenster schauen. Da spielt dieses Stück und da spielt das Stück. Das sind ganz intensive Lieder. Sehr bunt – ich empfinde das auch als sehr bunt.

Patrick: Wo ordnet ihr das Album selbst ein? Liegt es zwische den frühen Alben Selig und Blender oder doch eher in Nähe des Comebackalbums?

Jan: Ich glaube, dass Selig ein Wesen ist, das im Hier und Jetzt lebt. Aber bei dieses Album hat vielleicht sein Bewusstsein auch noch erweitert und in einen größeren Zusammenhang gestellt. Also „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ und dann noch weiter, denn vielleicht gibt es ja doch noch was außerhalb des Hier und Jetzt. Und durch diese Gedanken ist das selige Bewusstsein halt auch noch gewachsen. Das Hier und Jetzt ist dadurch elastischer geworden und hat mehr Zeit und Raum.

Patrick: Der Auftakt des Albums mit „5000 Meilen“ ist ein klassischer Seligsong vom Basslauf bis zum Gesang. An anderen Stellen wird es richtig funky. Da musste ich an die Red Hot Chili Peppers denken. Zum Beispiel bei „Hey Ho“.
Jan: Ich weiß, genau. War das nicht bei „Hey ho“ als wir im Studio saßen und ihr habt immer gesagt „Ey Plewka, stay funky“.
Leo: Das stimmt (beide lachen laut). Oh Mann, stimmt so war das. Das wurde dann zu einem geflügelten Wort bei uns.
Jan: Es swingt mehr. Das ist auch etwas was wir mit dem Album erreichen wollten: Eine gewisse Leichtigkeit in die Schwermut der Welt zu bringen.

Patrick: Sind die Chili-Peppers ein Einfluss gewesen? Ich sprach nämlich auch vor einiger Zeit mit Pohlmann und der hat ja mit Christian (Selig-Gitarrist) gearbeitet beim letzten Album und kam auch gleich auf die Peppers zu sprechen.

Jan: Christian und Fruciante (Gitarrist RHCP) sind die größten Jimi Hendrix Fans die auf diesem Planeten rumlaufen und wenn das dann alles zusammenkommt, dann ist das unterbewusst mit dabei.

Patrick: Bei „Lass sie reden“ wird es dafür richtig Classic Rock. Man denkt sofort an die Rolling Stones.

Leo: Das soll auch so sein. Das ist einfach eine Rocknummer. Ganz normal. Nicht viel Schnick-Schnack, sondern eine Band die spielt. Erst haben wir auch gedacht: Naja, das ist jetzt Klischee. Aber warum? So ist halt das Stück, warum sollte man sich dafür verbiegen. Viel wichtiger ist doch, worum es geht. Dass da jemand am Boden liegt, vielleicht einen Burn out hatte und man sagt „weitermachen“. Das passt zu dieser Musik. Dieses „Jetzt erstrecht“.

Patrick: Kommen erst die Texte und Inhalte und dann die Musik?

Jan: Nein, das kommt schon alles zusammen

Patrick: War das dann das Problem zum Ende der ersten Phase von Selig vor elf Jahren? Dass das nicht mehr alles so zusammenkam? Oder wie war euer Eindruck, als ihr damals „Blender“ aufgenommen habt?

Jan: „Blender“ – das war damals schon Größenwahn. New York und all das. Die Band war eigentlich schon auseinander. Das war nicht mehr das selige Haus. Wir waren eine Riesenmacht geworden, die nicht mehr bei sich selber war. Wir haben versucht den Zeitgeist zu übertrumpfen mit Electro und all dem. Wie soll man diese Platte jetzt deuten?! Eigentlich war sie ein Abschiedsbrief geworden an die Fans an die Plattenindustrie und unser seliges Leben.  Es hat zehn Jahre gedauert diese Wunden zu flicken. Aber jetzt kann man sich besser ansehen, zuhören und miteinander agieren.

Patrick: Es gab jetzt nach dem Comeback also nie den Gedanken „Schade, klappt doch nicht“?

Jan : Ganz im Gegenteil. Die Zeit hat uns wieder zusammengefügt, um das selige Gefühl in die Welt zu geben. Vielleicht brauchte die Welt uns einfach zehn Jahre gar nicht. Und jetzt sind wir wieder zusammen, um hier und da Hilfestellungen zu geben.

Patrick: Habt ihr Angst, dass der Hype wieder losgeht wie damals und ihre zu der „Riesenmacht“ werdet?

Jan : Das schöne am Älterwerden ist doch, dass die Paranoia wegfällt. Und ich glaube dass uns die Paranoia damals vor dem Hype beschützt hat als junge Menschen, die noch gar nicht selbst mit ihrer Ausbildung fertig sind. Jetzt haben wir Altersweisheit erlangt und wir wissen was wir machen.

Patrick: Wie ist euer Publikum strukturiert? Sind das mehr alte oder mehr neue Fans? Und nehmt ihr darauf Rücksicht beim Schreiben?

Jan: Das ist wirklich sehr gemischt. Vom alten Erdkundelehrer bis zum 14-jährigen Punk ist da alles dabei.
Leo: Ich weiß gar nicht, wie wir in so kurzer Zeit schonwieder so viel erlebt haben. Das ist so eine unwahrscheinliche Geschichte. Und wenn wir dieses Album machen, dann denken wir natürlich an die Fans, die mit uns die alten und auch die neuen Stücke gefeiert haben. Und daher glaube ich auch, dass die Energie die einem die Fans auf der Bühne geben eine Rolle spielen.  Dann staut sich das an und fließt da ein. Deswegen ging das so schnell und reibungslos.

Patrick: Eure Texte sind ja schon anspruchsvoll, wenn man sie durchdringen möchte. Wie bringt ihr sowas zusammen mit einer Teilnahme an einem populären Massenevnet wie dem Bundesvision Songcontest bei Stefan Raab, die jetzt ja ansteht?

Leo: Da treffen wir dann auf Ich und Ich, und Unheilig. (lacht). Unheilig trifft Selig. Das gezeichnete Ich macht auch mit. Sehr viele Ichs da dieses Jahr (beide lachen).
Jan: Wir haben schon immer gesagt, wenn Selig Mainstream wäre, dann wäre die Welt wunderbar.Die haben uns gefragt, ob wir mitmachen wollen und wir haben sofort zugesagt. Im Leben eines Musikers gibt es verschiedene Stationen um sich Extra-Adrenalin abzuholen. Und dazu gehört auch so eine Gladiatorenshow wie der Bundesvisionsongcontest.  Im besten Fall sitzt da dann auch die 90-jährige Oma vor dem Fernseher und sagt „Die sind aber süß“ und kauft sich eine Platte.
Leo: Wir waren ja mit Selig schon bei Stefan Raab beim Turmspringen. Und man muss sagen, die ganze Gang um Raab rum. Das sind alle coole Leute. Wir kennen ja viele Fernsehauftritte. Und manchmal hier und da ist das auch mal etwas vertrocknet. Aber bei Raab sind das wirklich coole Leute, die was auf die Beine stellen. Und daher sind wir da auch gerne dabei. Und Raab selbst ist ein echter Musikfan. Der hört die Bands rauf und runter, die da jetzt antreten und interessiert sich auch wirklich für die Geschichten dahinter. Also für ihn ist das wirklich Leidenschaft.  Für ihn ist das keine Arbeit, für ihn ist das Freude.

Patrick: Was steht jetzt an?

Jan: Der klassische Weg. Eine Tour spielen mit diesem Album als Rückgrat und dann eine zweite Single und dritte Single und die Songs wachsen lassen.

Patrick: Und ausprobieren wie es live klappt.

Leo: Da sind Stücke auf dem Album bei denen wir uns schon im Studio gefreut haben: „Das wird geil die live zu spielen“.





 

Sonntag, 5. September 2010

Songs, Alben und ihr Ende

"Ans Ende denken wir zuletzt" singen Sportfreunde Stiller und meinen damit ein Beziehungsende und nicht die Enden, über die ich kurz sprechen möchte, aber es passt halt.
Denn im Gegensatz zu Filmen oder Büchern denkt man bei Songs oft nicht über ihr Ende nach. Also über das was es aussagt. In Zeiten von MP3 Downloads sind Alben ja oft sowieso zerrissen und keine Gesamtkunstwerke mehr. Schade eigentlich, denn ich mag es, wenn man ein Album in seiner Gänze erfassen kann. Das setzt natürlich ( wie auch in Dichtung und Film ) vorraus, dass sich die oder der Urheber überhaupt etwas dabei gedacht haben, aber das hoffe ich zumeist einfach mal.
Wenn ich diese Vorraussetzung als gegeben sehe, dann gestalten sich manche Alben ganz anders.
Zumindest in meiner Wahrnehmung.
Der letzte Satz, die letzte Strophe ist schließlich dann der letzte Eindruck mit dem man wieder in die "normale", reale Welt entlassen wird. Bei einem guten Song bedeutet das ein Fazit oder einen Ausblick, vielleicht auch die überraschende Wende. Auch bei einem gesamten Album kann das der Fall sein.
Nehmen wir doch nur mal das aktuelle Album von Interpol.
Die letzte Strophe des letzten Songs. Dieser trägt schonmal den Namen "The Undoing"... nimmt er er also alles zurück, was man vorher gehört hat? Erklärt er alles?
Schon der Auftakt beinhaltet Scheitern.... "I was on my way... i was on my way to tell you it´s no good". Aber zusammen mit der düsteren Atmosphäre und der typischen Interpol-Gesangslage hört man schon raus, dass daraus wohl nichts mehr wurde.
Und diese Grundstimmung trägt sich nun weiter und weiter.... bis hin zum Finale. Bläser pumpen sich gefährlich auf und immer wieder hört man das sich wiederholende... "Please, please the place we are in now"... und dieses "Please" erweist sich als Sample, das auch im Hintergrund wiederholt wird. Ein Mal sogar mit Effekten verzerrt und verhallt - merkwürdig entfremdet und kalt. Der Beat und die Bläser treiben den Song immer weiter... dieselbe Zeile wiederholt sich immer wieder und versinkt immer weiter im Gesamtsound. Das "Please"... wird ersetzt durch ein "I will wait"... das sich ebenso wie ein aus dem Zusammenhang gerissenes Sample anhört... "I will wait"... es rückt ganz kurz in den Vordergrund... der Song wird ausgefaded... "I will wait" nochmal aus der Ferne und das Album schließt den letzten Song. Ein Album mit der Zeile "I will wait" zu beenden, hat eine für mich fast schon bedrückende emotionale Größe in sich. Worauf eigentlich? Oder auf wen?  Wenn es zusammen mit dem "Please" im Hintergrund eher wie eine Bitte als nach einem Versprechen klingt, lässt es uns als Hörer in einer gewissen Unklarheit und Offenheit der Situation zurück. Für mich eins der stärksten Albenende seit langer Zeit und ein Plädoyer für den Mehrwert von Popmusik als Kunstform, die (gewollt oder nicht) Geschichten erzählen kann.